Kein Leben ohne Unterschlupf

Er ist nicht nur eine Zierde für jeden Garten, für Igelfreunde ist er ein Muss: der Totholzhaufen. Mehr Artenvielfalt auf kleinem Raum ist nicht möglich, verrottendes Holz  bietet in jedem Stadium Schutz und Nahrung für unzählige Tiere, Pilze und Mikroorganismen.
 
Bevor der Mensch mit dem Aufräumen begonnen hat, war es bei uns sehr uneben. Der Boden war bedeckt mit Laub und mit abgestorbenen Pflanzen und Bäumen. Über die Jahrmillionen hat sich dabei neben einer Humusschicht ein Ökosystem mit einer Vielzahl an Lebensgemeinschaften entwickelt, dessen Komplexität erst allmählich verstanden wird.
Vom toten Baum bis zum Humus ist es ein langer Weg, je nach Holzart dauert es einige Jahrzehnte, bis der Zerfall abgeschlossen ist. Dieser Prozess wird grob in drei Stadien unterteilt.

 

Besiedlung von Frischholz

Zu den ersten Nutzniessern abgestorbener Bäume gehören Insekten wie der Borkenkäfer, Prachtkäfer und Schlupfwespen. Diese Pionierinsekten bohren Löcher in die Rinde und fressen sich an den Bruchstellen ins Splintholz und schaffen so Lebensraum für Pilze und weitere Insekten, die neben Wohnraum auch Bohrmehl und Kot zur Weiterverarbeitung finden. Stehendes Totholz hat vor allem für hochentwickelte Tiere eine grosse Bedeutung. Zuerst kommen die Spechte, die auf der Suche nach Insekten weitere Löcher ins Holz schlagen und sich als Unterkunft eine Höhle im toten Stamm anlegen. Diese Höhlen werden in der Folge von einer grossen Zahl Nachmieter sehr geschätzt. Vor allem Fledermäuse, Eulen und baumbewohnende Nagetieren wie Eichhörnchen und Siebenschläfer sind darauf angewiesen.
Nach rund zwei Jahren sind Zweige und Äste abgefallen, die Rinde hat sich gelöst und auch der Stamm wird dem nächsten Sturm nicht standhalten. Damit beginnt die zweite Phase des Zerfalls.

 

Liegendes Totholz

Dieses Stadium des Zerfalls weist die grösste Artenvielfalt auf und dauert je nach Baumart zehn bis zwanzig Jahre. Im Innern des Stammes beginnt der Fäulnisprozess. Holz besteht im Wesentlichen aus Zellulose, Hemizellulose und Lignin. Die Zellulosen bilden die pflanzlichen Zellwände. Beim Holz beträgt der Anteil zwischen 70% und 80%. Zum Vergleich: die weiche Baumwolle kommt auf beinahe 100%, das spröde Stroh auf rund 30%. Für die Verholzung ist Lignin zuständig, die zweithäufigste organische Verbindung auf der Erde hinter der Zellulose. Lignin vereinigt hervorragende Druck- und Bruchfestigkeit mit Härte und Widerstandsfähigkeit gegenüber chemischen Stoffen. Ohne diese Eigenschaften könnten die Bäume das Wasser nicht über so weite Strecken aufwärts tranportieren. Die einzigen Lebewesen, die Lignin abbauen können, sind spezialisierte Pilze und Bakterien. Ähnlich schlecht verdaulich ist Zellulose, auch diese Verbindung wird von Pilzen und Mikroorganismen aufgebrochen und so für andere Tiere verwertbar gemacht.  Zugang zum Innern des Stammes erhalten die Pilze durch die Bohrlöcher der Pionierinsekten und die Arbeit der Spechte.
 
In diesem Zerfallsstadium erweitert sich das Insektenspektrum massiv. Es herrscht reger Betrieb im langsam morsch werdenden Stamm. Die vorhandenen Bohrlöcher werden von weiteren Insekten genutzt und neue Gänge entstehen durch Larven, die sich auf teilabgebautes Holz und Pilze spezialisiert haben. Räuberische Insekten finden ein reichhaltiges Nahrungsangebot, während andere Insekten wie Wildbienen und Ameisen das Holz als Wohnraum nutzen und ihre Gänge im Holz anlegen.
Die Bedeutung des Totholzes für den Insektenschutz zeigt sich gut am Beispiel der Käfer, rund ein Viertel aller Käferarten sind auf zerfallendes Holz angewiesen. Die meisten verbringen die Zeit des Larvenstadiums im morschen Holz. Das Gleiche gilt auch für viele Wespen, Wildbienen, Mücken, Fliegen und Schmetterlinge. Angesichts der Seltenheit von Totholz erstaunt es nicht, dass die meisten dieser Tierarten auf der Liste der bedrohten Tierarten stehen.
Das liegende Totholz ist aber auch ein Dienstleistungszentrum für Vetreter aus allen anderen Tiergattungen. Der bekannteste Vetreter der Säugetiere ist der Igel, der in Totholzhaufen ideale Bedingungen für Nester findet und sich am üppigen Insektenangebot bedient. Ebenfalls auf Insekten aus ist die mit dem Maulwurf verwandte Spitzmaus, während diverse Mäusearten wie die Haselmaus Schutz und Wohnraum finden. Verschieden Amphibien und Reptilien nutzen Totholz als Jagdraum, zum Überwintern und wegen der Wärmespeicherfähigkeit zum Sonnenbaden. Darunter fallen die Eidechsen, Blindschleichen, Salamander, Frösche und Erdkröten. Letztlich profitieren alle Insektenfresser von einem grösseren Nahrungsangebot.

 

Das krümelige Ende

Das Endstadium wird als Humifizierung bezeichnet, der Übergang zum Boden wird fliessend. Die als Mulm bezeichnete krümelige Masse besteht nur noch aus Pflanzenresten, Pilzen und Mikroorganismen, Mineralien und den Verdauungsprodukten der bisheriger Bewohner. Bewohnt wird sie nun von Fliegenlarven, Springschwänze und Milben. Von unten dringen Würmer, Schnecken, Asseln und Tausendfüssler ein und vollenden das Werk. Aus einem stolzen Baum ist fruchtbare Erde geworden und während der ganzen Zeit haben eine Fülle von Lebewesen Nahrung, Schutz und Lebensraum gefunden.

 

Keimzelle für Artenvielfalt

Totholz ist ein unverzichtbarer Bestandteil des natürlichen Kreislaufs. Wir haben diesen Zyklus unterbrochen, indem wir in unserer natürlichen Umgebung gründlich aufgeräumt haben. Zefallendes Totholz ist bei uns mittlerweile Mangelware.
Unser Ersatz für den ausgeklügelten natürlichen Abbauprozess mutet wie ein schlechter Witz an: Da fährt ein Häcksler vor und verwandelt mit viel Geräusch "Gartenabfälle" zu Biomasse, welche zu den Grüngutsammelplätzen gekarrt wird. Dort wird sie maschinell bearbeitet und dann zur Verpackung gefahren. Schliesslich landet der Strauchschnitt nach vielen weiteren Transportkilometern als plastikverpackter Humus wieder am Ursprungsort. Das ist nicht nur eine unglaubliche Verschleuderung von Energie, es führt auch zu einer erschreckenden Verarmung unserer Umwelt.
Angesichts des Verschwindens der Insekten ist es höchste Zeit, Gegensteuer zu geben. Der Totholzhaufen muss zu einem unverzichtbaren Accessoire eines jeden Gartens werden. Wo und wie dieser Haufen im den Garten angelegt wird, ist den Abbauspezialisten einerlei, auch gut versteckt in der hintersten Gartenecke wird er umgehend besiedelt.
Je gepflegter Garten vor dem Haus ist, desto mehr Pflanzenschnitt gibt es und desto grösser sollte auch der Haufen hinter dem Haus sein.

 

Verschiedene Formen

Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, wenn es um das Integrieren von Totholz in den Garten geht. Das Spektrum reicht vom Wildbienenhotel auf der Terrasse bis zum stehengelassenene abgestorbenen Baum. Jedes Stück Holz, egal welcher Grösse, ruft sofort alle verfügbaren Abbauspezialisten auf den Plan. Den wertvollsten Beitrag zur Biodiversität tragen die Wildgärten bei, wo abgestorbene Bäume und Baumstrünke stehenbleiben und die unumgänglichen Strauch- und Baumschnitte zu Haufen aufgeschichtet werden. Diese Gärten sind wegen des Makels der Unordnung leider viel zu selten, dabei bieten sie dem Besitzer einige angenehme Vorteile: minimaler Pflegeaufwand, kein lärmiger Häkseldienst und viel Leben ums Haus.
 Aber auch Gärtner mit einem hochentwickelten Sinn für Ästhetik und Ordnung können den dringend benötigten Beitrag zur Artenvielf leisten. Totholz erfüllt auch in kunstvoller Anordnung und als dekoratives Gestaltungselement seine Aufgabe als Lebensraum. Eine sorgfältig aufgeschichtete  Holzbeige ist ein Blickfang und kann verschiedenen Zwecken dienen: Als Trennelemet im Garten, als Wand einer Pergola oder als nicht bewilligungspflichtige Lärmschutzwand. Der besonders wertvolle Baumstrunk kann als Ständer für einen kleinen Gartentisch oder als Sitzgelegenheit genutzt werden, für die Komposteinfassung dienen längere Äste und sogar rustikale Lampenverkleidungen lassen sich aus Baumschnitt basteln.
 
Gerade jetzt im Herbst und Winter fällt viel Strauch- und Baumschnitt an, es ist der ideale Zeitpunkt für das Aufhäufen von Lebensraum für eine reichhaltige Gartenfauna.
Ein kleiner Tipp zum Schluss: Wer Marienkäfer als Glücksbringer schätzt, sollte ihnen mit Totholz ein Winterquartier bieten.

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